Zehntausende Menschen sind in Israel erneut gegen die umstrittenen Justiz-Reformpläne auf die Straße gegangen. Am Abend demonstrierten alleine in Tel Aviv Medienberichten zufolge mehr als 150.000 Menschen gegen die Pläne der rechts-religiösen Regierung von Benjamin Netanyahu. Auch in anderen Städten protestierten Tausende Menschen.
Israels Regierung will einen Teil der Justizreform im Eiltempo auf den Weg bringen: In rund einer Woche soll ein Gesetz verabschiedet werden, das dem Höchsten Gericht die Befugnis nehmen soll, Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister als “unangemessen” zu bewerten. Der Gesetzentwurf wird in diesen Tagen im Justizausschuss für die finale Abstimmung im Parlament vorbereitet.
Ist heftig zuzuschauen wie Israel langsam von den rechten übernommen wird. Gut dass die Progressiven Widerstand leisten.
Ich frage mich, ob so eine Reform hierzulande auch nur annähernd so viele Menschen auf die Straßen treiben würde… und habe wieder Zweifel.
Ich habe mir das Mosche Zimmermann Interview bei Jung und Naiv letztens angehört und der sagt sogar, dass das eine stetige Weiterentwicklung in Richtung rechts-national bzw rechts-dlradikal ist, was sich seit den 70ern vollzieht.
Kennt sich jemand mit den Hintergründen aus und kann vielleicht etwas mehr Kontext liefern? Grundsätzlich finde ich es schon bedenklich wenn sich die Judikative bei der Benennung von Ministern einmischen kann, vielleicht verstehe ich das aber auch falsch.
Netanyahu ist korrupt und muss dafür vermutlich in den Knast. Jetzt hat er eine Regierung gebildet mit Leuten, denen man besser keine Macht übertragen sollte, und will mit diesen Reformen verhindern, dass er wirklich ins Gefängnis muss.
Generell ist dieses “nur dieses Person kann das machen” totaler Quatsch und es gibt gute Gründe warum man Leute von politischen Ämtern ausschließen kann. Mit dieser Änderung ist niemanden geholfen außer den einzelnen Personen. Alle Möchtegern Diktaturen (Ungarn Polen Türkei) fangen immer damit an Gerichte und Medien zu entmachten.
Einmischung ist okay wenn es eine bedingte und nicht festfahrende Situation ist. Der Bundespräsident könnte theoretisch die Arbeit des Parlaments und der Regierung blockieren mit einem Veto und fehlender Unterschrift. Aber das kann er auch nur begrenzt oft machen ohne zu viel politisches Kapital zu verlieren und letztendlich selbst gestürzt zu werden.
Das Verfassungsgericht kann Gesetze der anderen Zweige anfechten, wenn sie dem Grundgesetz widersprechen. verfassungsfeindliche Personen können über Umwege von der Berufung in ein Amt oder zur Aufstellung zur Wahl blockiert werden.
Dass man sich gegenseitig blockieren und widersprechen kann, ist ja der Sinn der Gewaltenteilung. Das Verfassungsgericht ist nicht Sklave der anderen Zweige. Man soll sich blockieren können und kritisieren können
In Israel überprüft der Oberste Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen. Das Land hat keine geschriebene Verfassung, es gibt hingegen eine Sammlung von Grundgesetzen, die zusammen eine Art Verfassung bilden. Weil es unter anderem keine zweite Parlamentskammer (bei uns der Bundesrat) gibt, kommt dem Obersten Gericht die Rolle zu, die Regierung zu kontrollieren.
Das neue Gesetz:
Diese sehen unter anderem eine Veränderung der Zusammensetzung des Richterauswahlausschusses vor, dahingehend, dass eine Mehrheit seiner Mitglieder von der Regierung ernannt wird (wodurch die Regierung eine Kontrolle über die Ernennung von Richtern erhält), die Befugnis für die Knesset, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs außer Kraft zu setzen (etwa wenn dieses die von der Knesset verabschiedeten Gesetze als verfassungswidrig erachtet), indem die Gesetze mit einer Mehrheit der Knesset-Mitglieder wieder in Kraft gesetzt werden können, und eine Eindämmung des Einflusses der Justiz auf die Gesetzgebung und die öffentliche Ordnung, indem die Befugnis des Obersten Gerichtshofs zur Ausübung der gerichtlichen Überprüfung eingeschränkt wird.
Levin und die Regierungskoalition erklärten, dass dies nur der erste Schritt ihrer Justizreform sei und dass weitere Schritte geplant seien, darunter eine Änderung des Ernennungsverfahrens für Rechtsberater in Ministerien, sodass diese von den Ministern ernannt und entlassen werden dürfen. Außerdem sei beabsichtigt, die bislang für Minister bindende Rechtsberatung nur noch zu einer Empfehlung zu machen und sie direkt den Ministern zu unterstellen und nicht mehr der fachlichen Aufsicht des Justizministeriums. Premierminister Benjamin Netanjahu behauptete, die Reform sei notwendig, weil die Justiz zu viel Kontrolle über die öffentliche Ordnung habe und ein besseres Gleichgewicht zwischen demokratisch gewählten Gesetzgebern und der Justiz erforderlich sei. Netanyahu wurde jedoch von der israelischen Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara aufgrund eines Interessenkonflikts, der sich aus seinem laufenden Korruptionsprozess ergibt, die aktive Teilnahme am Regierungsprozess der Justizreform verboten; er selbst könnte von der Justizreform profitieren.
https://de.wikipedia.org/wiki/Proteste_in_Israel_gegen_die_geplante_Justizreform_2023
Zum Vergleich:
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Bei uns gibt es den Bundesrat durch den Gesetze müssen.
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Die 16 Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts werden jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt, die abwechselnd auch den Präsidenten und den Vizepräsidenten bestimmen. Für die Wahl ist jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Das soll die Ausgewogenheit in den Senaten sicherstellen.
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zuletzt gäbe es noch den Bundespräsidenten der das Gesetz unterschreiben muss und der auch auf weiterer Basis gewählt wird
Man stelle sich also vor den Bundesrat gibt es nicht, die Regierung besetzt den Wahlausschuss für die Besetzung des Verfassungsgerichtes und bestimmt damit die Verfassungsrichter UND kann dann deren Entscheidungen auch noch mit einfacher Mehrheit überstimmen. Da kann man die Gewaltenteilung auch gleich lassen, weil ganz plötzlich sind alle Gesetze die gemacht werden automatisch verfassungskonform.
Was den Minister angeht, der ernannt wurde und dann gehen musste:
https://de.wikipedia.org/wiki/Arje_Deri
Nach dem Verbüßen einer mehrjährigen Haftstrafe (Deri wurde am 3. September 2000 zu vier Jahren Gefängnis wegen Korruption, Betrugs und Amtsmissbrauchs verurteilt, wovon er bis zum 15. Juli 2002 insgesamt 22 Monate im Maasiyahu-Gefängnis verbüßte) sowie der darauf folgenden siebenjährigen Sperre für die Übernahme öffentlicher Ämter kehrte Deri 2009 in die Politik zurück.
und weil der Mann daraus nichts gelernt hat:
Nach einem fast dreijährigen Ermittlungsverfahren in Zusammenarbeit mit der Steuerbehörde empfahl die Polizei im November 2018 der Staatsanwaltschaft die Anklageerhebung wegen Betrugs und Untreue. Die Ermittlungen ergaben hinreichende Beweise für diese Vergehen in Deris Kontakten zu einem Geschäftsmann während seiner Amtsausübung als Minister, zudem für erhebliche Steuervergehen, für Geldwäsche, für Behinderung der Justiz sowie für falsche Angaben über sein Einkommen und Vermögen gegenüber dem Knessetsprecher und dem Rechnungshof.
Seinen job machte er auch eher schlecht:
Nach der Massenpanik auf dem Har Meron mit 45 Toten wurde bekannt, dass Deri sich dafür eingesetzt hatte, allen anreisenden Gläubigen den Zugang zu ermöglichen, obwohl bekannt war, dass die Örtlichkeit für die erwartete Zahl von Besuchern (bis zu 100.000) nicht geeignet war.
und dann wird er wieder verurteilt mit einem wie ich finde faulen Kompromiss:
Die Anklageerhebung erfolgte, nachdem die Parteien Tage zuvor ein Abkommen angekündigt hatten. Ihm zufolge wird Deri aus der Knesset zurücktreten, geringfügige Steuervergehen eingestehen und eine Geldstrafe von 180 000 NIS (etwa 50 000 Euro) zahlen. Im Gegenzug stellt die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren ein und verlangt keine Gefängnisstrafe.
Als Folge des Rücktritts aus der Knesset erklärte Mandelblit, dass er auf eine Anklage wegen «moralischer Verwerflichkeit» verzichten wird, die Deri für sieben Jahre von jeder politischen Betätigung und somit von einer Kandidatur für die nächste Knesset ausgeschlossen hätte. Deri kann auf diese Weise auch Vorsitzender von Schas bleiben. Sein Parlamentsmandat wird der in Frankreich geborene ehemalige Abgeordnete Yosef Taieb übernehmen. Deri erklärte, dass er Gott dafür danke, dass er und seine Familie die siebenjährigen Ermittlungen überstanden hätten. Er übernehme die Verantwortung für die von ihm begangenen Fehler bei der Steuererklärung. Am 23. Januar 2022 übergab Arje Deri dem Parlamentspräsidenten der Knesset, Mickey Levy, seine Rücktrittserklärung, die dieser annahm.
und kaum ein Jahr später, bäm ist der Mann schon wieder im Ministeramt, als wäre nichts gewesen
Der Oberste Gerichtshof entschied im Januar 2023, dass Deri kein Ministeramt in der im Dezember 2022 gebildeten Regierung Netanjahu ausüben dürfe, und zwar zum einen wegen seiner Vorstrafen, zum anderen wegen seiner Ankündigung als Teil der Verständigung mit der Anklage, dass er sich aus der Politik zurückziehen werde. Am 22. Januar 2023 entließ Netanjahu ihn daraufhin aus der Regierung, betonte jedoch, dass er dies „schweren Herzens, mit großem Kummer“ tue.
Wow, vielen Dank für die ausführliche Erklärung!
Das hört sich wirklich nach einer Gesetzesänderung an, die darauf abzielt, das man ungestört durchregieren kann.
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Ich finde den Artikel da verwirrend. Es steht nirgendwo direkt, dass das Gericht sich bei Ernennungen einmischen kann. Dann heißt es aber, dass ein Argument sei, das sonst Ministerien willkürlich besetzt werden.
Ich glaube da ist was durcheinandergeraten. Es ist eher unüblich, dass die Verfassungsjustiz Ernennungen verhindern kann. Diese kann normalerweise nur Gesetze oder Handlungen der Exekutive auf deren Verfassungskonformität überprüfen.
Kann natürlich sein, dass Bibi Minister gern auch mal illegal ernennt…
lesenswert, da versteht man warum das Verfasungsgericht irgendwann die Notbremse gezogen hat bei dem Mann